Vertreter verschiedener Religionsgemeinschaften haben vor der konstituierenden Sitzung des Düsseldorfer Stadtrats im Ratssaal ein multireligiöses Gebet abgehalten. Das führt zu Debatten in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt.
"Zoff um Gebet im Rathaus". So lautete die Überschrift in der Boulevardzeitung Düsseldorfer Express. Und die Regionalzeitung Rheinische Post (Untertitel "Zeitung für Politik und christliche Kultur") stellte in ihrer Überschrift die Frage: "Gebet vor der ersten Ratssitzung – Brüskierung oder Demokratie?".
Ins Rollen gebracht hatte das Diskussionsthema der Düsseldorfer Aufklärungsdienst (DA!), dem die Einladung des Oberbürgermeisters Stephan Keller (CDU) an die Ratsmitglieder in die Hände gefallen war. Darin hieß es: "Im Rahmen der konstituierenden Sitzung des Rates der Landeshauptstadt Düsseldorf lade ich Sie herzlich zu einem multireligiösen Gebet in den Plenarsaal des Rathauses ein." Man wolle im Geist des Respekts und Miteinanders zusammenkommen und für einige Momente innehalten.
Erst das gemeinsame "Vaterunser", dann der politische Streit
Das Thema Politik und kirchlicher Segen gibt es auch auf Bundesebene. Bundestagsabgeordnete versammelten sich vor der konstituierenden Sitzung des Parlaments am 25. März dieses Jahres zu einem ökumenischen Gottesdienst in der Berliner Sankt-Hedwig-Kathedrale. Aber im Bundestag selbst gab es keine religiösen Rituale, abgesehen von Eidesformeln der Regierungsmitglieder. Anders in Düsseldorf. Hier verlegte der Düsseldorfer Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU) die Bitte um göttliche Hilfe direkt ins Stadtparlament. Vertreter der jüdischen, buddhistischen, christlichen und muslimischen Gemeinschaften sprachen am 6. November Bittgebete für den neuen Stadtrat. Ein Ratsmitglied schilderte gegenüber dem hpd: "Nach einleitenden Worten des Oberbürgermeisters haben die verschiedenen religiösen Vertreter gesprochen – aus dem muslimischen Kreis, von der jüdischen Gemeinde und von den christlichen Kirchen. Gemeinsam wurde im Rat das Vaterunser gebetet." All dies war nicht Teil der Ratssitzung selbst, sondern fand vorher im Ratssaal statt.
In einer Pressemitteilung an die lokalen Medien und einer entsprechenden Nachricht an alle Ratspolitiker protestierte DA!-Vorsitzende Ricarda Hinz: "Unser Stadtrat kann offenbar nicht zusammenkommen, ohne vorher von Vertretern der drei monotheistischen Religionen 'eingesegnet' werden zu müssen. Für das entsprechende Ritual erhielt er bereits 2020 von uns, dem Düsseldorfer Aufklärungsdienst, die Rote Karte, denn: Guter Rat ist neutral."
Hinz verweist auf Artikel 137 der Weimarer Reichsverfassung, den das Grundgesetz in Artikel 140 zu seinem Inhalt macht. Dort steht: "Es besteht keine Staatskirche." Der DA! bitte die Stadt Düsseldorf, das Grundgesetz und das darin enthaltene Neutralitätsgebot der Politik ernst zu nehmen. Hinz mahnt: "Sie brüskieren ansonsten die konfessionsfreien und vielfältig andersdenkenden und andersgläubigen Düsseldorfer:innen, die die Trennung von Politik und Religion in einer für alle offenen Gesellschaft mehrheitlich befürworten."
Hinz untermauert das mit Zahlen: In Düsseldorf gebe es nur noch 22 Prozent katholische und 12 Prozent evangelische Kirchenmitglieder. Von den anderen 66 Prozent der Düsseldorfer:innen seien höchstens 8 Prozent anderen Glaubensrichtungen anhängig, sodass inzwischen mehr als die Hälfte der Menschen bewusst säkular lebten. Der Düsseldorfer Stadtrat wird aufgefordert, künftig auf religiös motivierte Veranstaltungen aller Art im Sinne des Grundgesetzes zu verzichten.
Während der DA! mit der Parole "Guter Rat ist neutral" auf eine weltanschauliche Unvoreingenommenheit pocht, kommt von anderer Seite eine zunächst kryptisch anmutende Gegenparole als Antwort: "Rat betet für den Rat", heißt es in einer Pressemitteilung des "Rats der Religionen". Dies ist ein in diesem Jahr gegründetes Gremium, in dem sich Vertreterinnen und Vertreter der christlichen, muslimischen, jüdischen und buddhistischen Gemeinschaften zusammenfinden. Um, so heißt es in der Selbstdarstellung, für das demokratische und gleichberechtigte Zusammenwirken der Religionen in der Stadt einzustehen. Man wolle den interreligiösen Dialog fördern und sich für Frieden, Respekt und gesellschaftlichen Zusammenhalt einsetzen. Weitere Religionsgemeinschaften sollen bald hinzukommen.
Religiöser Lobbyismus funktioniert in Düsseldorf
Der religiöse Lobbyismus hat schon ohne diese Bündelung der Kräfte in der Vergangenheit gut funktioniert: Der Düsseldorfer Stadtrat spendiert für den Evangelischen Kirchentag im Jahr 2027 knapp sechs Millionen Euro öffentliches Geld. Bezahlt von allen Bürgern, obwohl es nur 12 Prozent evangelische Kirchenmitglieder in der Stadt gibt. Es zahlt sich also aus, sich gut mit den Kommunalpolitikern zu stellen. Da lässt sich was von der evangelischen Kirche abgucken – auch so lässt sich das geballte Auftreten der diversen Religionsvertreter im Stadtrat interpretieren.
Der "Rat der Religionen" wiegelt indes ab. Das multireligiöse Gebet vor der konstituierenden Sitzung des Stadtrats verstehe sich nicht als religiöses Ritual des Staates, sondern als "Zeichen der Vielfalt und des wertebasierten Miteinanders in einer demokratischen Gesellschaft". Man stehe ausdrücklich für die weltanschauliche Offenheit und Neutralität, die das Grundgesetz schützt: "Nicht der Ausschluss, sondern das gegenseitige Respektieren unterschiedlicher Überzeugungen ist Ausdruck dieser Neutralität", heißt es.
Argumente für religiöses "Innehalten"
"Unser Gebet ist kein Akt religiöser Beeinflussung, sondern ein Moment des Innehaltens, der alle Menschen – gläubige wie nichtgläubige – zum Nachdenken über Verantwortung, Frieden und das Gemeinwohl einlädt", sagt der evangelische Superintendent Heinrich Fucks. Und Michael Szentei-Heise, Direktor a.D. der jüdischen Gemeinde, würdigt, "dass Jüd*innen, Buddhist*innen, Christ*innen und Muslim*innen gemeinsam für den neuen Stadtrat beten". Dies sei ein Ausdruck des gegenseitigen Respekts. Auch Redouan Aoulad Ali vom Kreis der Düsseldorfer Muslime betont die symbolische Bedeutung des Moments: "In Düsseldorf leben Menschen vieler Religionen und Weltanschauungen. Dass sie gemeinsam einen Moment der Besinnung teilen, ist kein Widerspruch zur Demokratie – es ist ihr Ausdruck." Beate Plenkers-Schneider von der katholischen Stadtkirche sagt: "Das gemeinsame Innehalten vor einer so wichtigen demokratischen Institution unserer Stadt erinnert daran, dass uns mehr verbindet, als uns trennt." Der buddhistische Vertreter Jan-Marc Nottelmann-Feil ergänzt: "Düsseldorf zeigt damit, dass Vielfalt eine Stärke ist, die wir gemeinsam verbinden und leben."
Natürlich war das Gebet für die Ratsmitglieder keine Pflichtveranstaltung. Doch der FDP-Abgeordnete Felix Mölders kritisierte dennoch die Gebete im Ratssaal. "Ich finde, Religionsausübung ist etwas zutiefst Privates und gehört nicht in staatliche Institutionen." Ein CDU-Stadtrat sieht es indes ganz anders. In einem Brief an den Düsseldorfer Aufklärungsdienst formulierte der Kommunalpolitiker: Religionen gehörten zur gesellschaftlichen Wirklichkeit Düsseldorfs. Sie trügen mit ihrem sozialen, kulturellen und caritativen Engagement entscheidend zum Zusammenhalt bei, in Schulen und Kindertagesstätten, in der Pflege, in der Jugend- und Sozialarbeit, in der Begleitung von Geflüchteten und in vielen weiteren Bereichen. Das anzuerkennen und respektvoll sichtbar zu machen, sei für ihn Ausdruck einer offenen und vielfältigen Stadtgesellschaft. Neutralität heiße nicht Abwesenheit von Religion, sondern Gleichbehandlung aller Überzeugungen, ohne Bevorzugung oder Benachteiligung.
Kontra: Kirchenprivilegien und mangelnde Neutralität
Das will DA!-Vorsitzende Ricarda Hinz so nicht stehen lassen. Sie antwortete dem CDU-Mann: "Sie sprechen von der gewünschten Gleichbehandlung aller Überzeugungen, dem können wir nur beipflichten! Doch genießen allein die Kirchen eine solch überbordende Privilegierung im Land, dass davon wahrlich nicht die Rede sein kann." Hinz zählt auf: "Konfessionsschulen, theologische Fakultäten, Staatsleistungen, die nicht verjähren, Straffreiheit bei Missbrauch, der ziemlich flott verjährt, Gehalt der Bischöfe, Kirchentage, Kirchensteuereinzug, eigenes Arbeitsrecht, Körperschaftsstatus, Steuerbefreiung (Grundsteuer, Gerichtskosten, etc.), Büros in allen Landtagen und im Bundestag, Sitze für jede Konfession in allen Rundfunkräten, Verkündigungssendungen in öffentlich-rechtlichen Medien…"
Hinz weist den Stadtrat darauf hin: "Das Problem dabei ist, dass wir als Religionsfreie – im Sinne von frei von Religion – unsere eigene Gegenpropaganda vollumfänglich finanzieren müssen. Bald wird auch die Caritaslegende nicht mehr geglaubt, sei sie auch noch so oft wiederholt. Caritas und Diakonie werden zu 100 Prozent aus öffentlichen Mitteln finanziert. Also von allen. Trotzdem herrscht dort eine weltanschauliche Macht, die nur noch von einer schwindenden Minderheit der Bevölkerung geteilt und verstanden wird."
Und was ist mit der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters?
Gerade wegen der von Kommunalpolitikern und Religionsgemeinschaften betonten Gemeinsamkeit kann für die große Anzahl der konfessionsfreien Düsseldorfer Bürgerinnen und Bürger der Eindruck entstehen, dass religiöse Überzeugungen privilegiert oder zum Maßstab für Politik erhoben werden. Aber wird das den Stadtrat dazu bewegen, bei der nächsten Gelegenheit von seiner "Tradition" abzusehen, sich Gottes Segen für seine Tätigkeit einzuholen? Falls nein, dann sollte vielleicht ein bislang übergangener Gast auf eine entsprechende Einladung beim multireligiösen Gebet pochen: Die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters würde als gleich zu behandelnde Weltanschauungsgemeinschaft gewiss zum "Moment des Innehaltens" beitragen. Und ein in den Stadtrat entsandter Pastafari könnte dann auch seinen Segen für weitsichtiges kommunalpolitisches Handeln geben. Wie heißt es doch so schön auf der Internetseite der Glaubensgemeinschaft: "Am Anfang war das Wort. Und das Wort war Arrrgh!" (Piraticus 13:7)







4 Kommentare
Kommentare
GeBa am Permanenter Link
Die Tatsachen welche Ricarda Hinz dargestellt hat sollten doch allen Bürgern die Augen öffnen was die Religionen wirklich wollen, nämlich nur 2 Dinge, Geld und Macht über die Bürger, die wenigsten begreifen was real h
Auch ohne diese Organisationen können die Menschen in Frieden miteinander leben, wenn diese erkannt haben was wirklich die Motivation der Kirchen sind, Humanismus ist eine Einstellung, welche reale Fakten behandelt und deren Ziel eine bessere Welt ohne Betrüger
und Hetzer auskommen möchte, die Kirchen stiften eigentlich nur Unfrieden, auch wenn diese jetzt versuchen mit geballter Macht ihre Agenda durchzusetzen.
Die Menschheit wäre mit Humanismus besser bedient und kostet nichts, nur Verständnis und Empathie für alles und jeden.
W. Klosterhalfen am Permanenter Link
Außerdem tun die Kirchen viel Schlechtes.
Roland Fakler am Permanenter Link
Geisterbeschwörung im 21. Jahrhundert.
Rüdiger Kramer am Permanenter Link
Und das im Jahr 2025. Ja, unser Bildungssystem hat versagt. Man hat den Schülern nicht beigebracht, dass es keine Staatsreligion gibt.